Vor einer Weile bin ich einer Übersetzung von Charlemonts „La boxe franceise“ geworden (link setzten) und „La boxe franceise & english boxing“ habhaft geworden. Ersteres ist von 1899 und noch stärker selbstverteidigungsorientiert, während man beim Zweiten schon eine Tendenz in Richtung Sportwettkämpfe erahnen kann.
Die Übersetzungen sind als Softcover für wenig Geld auf Amazon zu haben. Leider hat sich der Übersetzer Matthew Lynch nicht sehr viel Mühe in der Gestaltung gegeben. Die Schriftart ist viel zu groß, der Seitenrand ist quasi nicht vorhanden und eine ordentliche Setzung fehlt leider auch, allgemein sieht es eher so aus, als ob er seine Textdatei hat drucken lassen. Bei 6€ sollte man sich nicht beschweren, trotzdem würde ich für ein schönes Buch auch gerne mehr Geld in die Hand nehmen.
Beide Bücher enthalten auch einen Satz Regeln für den Wettkampf, die sich voneinander nur in wenigen Punkten unterscheiden. Vor allem sind die Regeln von 1905 ausführlicher und umfassender. Anscheinend war das nötig geworden. Als ich im Savatekurs dem Trainer vorschlug diese doch mal auszuprobieren, brauchte ich nicht viel Überredungskunst.
Die Regeln lauten wie folgt:
– Treffer dürfen mit Arme, Beinen, Händen und Füßen gesetzt werden. Es dürfen also auch Schläge mit dem Faustrücken, Ohrfeigen und Hammerfaustschläge genutzt werden. Ebenso waren Schläge mit dem Unterarm im Gegensatz zu Ellenbogenschlägen damals üblicher als heute. Kniestöße werden nochmal extra erwähnt. Diese sind in der Selbstverteidigung wichtig, denn man könne sich ja nicht beschweren, dass dies ein illegaler Angriff ist, wenn man abseits des Saals so attackiert würde.
– Generell keine Angriffe zu den Genitalien
– Trefferfläche für Tritte ist der ganze Körper
– Trefferfläche für Schläge ist alles vom Gürtel bis zum Kopf, im Gegensatz zum modernen Regelwerk auch Rücken und Hinterkopf.
– Paraden mit dem Arm müssen aktiv nach vorn oder zur Seite gestreckt sein, eine passive Deckung am Körper oder Kopf (z.B. eine Doppeldeckung) zählt nicht als Parade. Somit wäre das ein Punkt für den Gegner.
– Einem Angriff muss erst ordentlich ausgewichen oder er muss pariert werden, bevor ein Gegenangriff gestartet werden darf.
– Gleichzeitige Treffer zählen nicht, Stoppstöße allerdings sehr wohl. Hier ist es also eine Frage der Intention.
– Weil Punkte gezählt werden, sollen Kombinationen/Mehrfachangriffe vermieden werden. Finten dürften dabei ausgenommen sein.
– Wenn man getroffen wurde, meldet man dies mit dem Ausruf „toché!“
– Es kann verboten werden Beine zu greifen, zu clinchen oder sonst wie zu ringen. Falls man den Gegner festhält, zählt dies als Punkt, gleiches gilt für Würfe.
Wenn man sich die Regeln genau ansieht, stellt man fest, dass sie stark an Fechtregularien und Methoden angelehnt sind. Aufgrund der europäischen Wurzeln und der Tatsache, dass die Savatehallen an Fechtsäle angegliedert waren ist das aber nicht wirklich verwunderlich.
Klar, dass es nicht jedem gefallen hat, besonders wenn man sich auf modernes Sportsavate eingeschossen hat. Welcher Fußballspieler würde schon nach 100 Jahre alten Regeln trainieren? Für den heutigen Wettkampf ist also ganz klar keine optimale Vorbereitung. Es trainiert aber durchaus Fähigkeiten, die für den Wettkampf wichtig sind. Als zusätzliche Übung im Repertoire kann ein Ausflug zu den Wurzeln meiner und auch der Meinung des Trainers nach nicht schaden.
Natürlich möchte ich euch ein paar von unseren Beobachtungen nicht vorenthalten:
Der aktive Einsatz der Arme zur Parade, führte dazu, dass man sich nicht hinter passiver Deckung verstecken konnte und so auch wieder mehr Beinarbeit in den Fokus rutschte. Durch den Parade-Riposte-Modus war es ein wenig übersichtlicher und weniger chaotisch, sodass man auch hier wieder mehr Zeit oder besser gesagt Vorbereitung für spezielle Aktionen wie Ausweichschritte und Aktionen ins Tempo hatte. Gestärkt wurde interessanterweise auch das Bemühen nicht getroffen zu werden und nicht einfach nur eine höhere Zahl an Treffern auszuteilen. Apropos Treffer, da jeder Treffer einen Punkt gab, wurde deutlich mehr zu den Beinen getreten. Das lag nicht zuletzt daran, dass Beine fangen nun erlaub war und die Rückzugbewegung des ein oder andere nicht schnell genug war, sodass man sich nicht traute in Höhe der Arme zu treten. Ins Ringen, Clinchen kam man eigentlich selten, wenn man es nicht unbedingt drauf angelegt hatte. Auch Fausttechniken wurden weniger gebraucht. Die Beine haben einfach eine höhere Reichweite und weil der übliche Savateur vermeiden wollte gegriffen zu werden, ging man nicht auf Schlagreichweite ran, von dort aus, ist der Clinch nun mal nicht weit. Im Vorfeld waren wir uns nicht sicher in wie weit die Trefferansage im Sparring stören würde. Tatsächlich hat sie kaum gestört: Man wurde getroffen, sagte an, ging kurz einen Schritt zurück und startete wieder. Das hat je nach Paarung nicht mal zu einer wirklichen Pause geführt.
Zusammenfassend könnte ich hier schreiben – und das ist wirklich keine neue Erkenntnis -, dass die Regeln den Sport machen. Für mich nehme ich aber auf jeden Fall mit, dass ich mit diesen Regeln -und seien sie auch etwas angepasst- gerne wieder arbeiten möchte, einfach weil sie Attribute und Fähigkeiten fördern an denen ich arbeiten will oder sollte.