Bevor ich das beantworte, schauen wir uns erst einmal an was HEMA eigentlich ist. Für mich ist es im Grunde sehr einfach und dennoch ist es das anscheinend nicht. Jeder definiert HEMA für sich ein wenig anders, lässt verschiedene Aspekte schwerer wiegen als andere und erweitert oder verringert so die Schnittmenge.
Das Akronym HEMA steht für historical european martial arts, also historisch, europäische Kampfkünste. Nach meiner bescheidenen Auslegung handelt es sich dabei um Kampfkünste oder Kampfsportarten (in Deutschland unterscheidet man hier gerne, in anderen Ländern bzw. Sprachen ist dies nicht so strikt getrennt, aber darum soll es hier nicht gehen, es macht auch keinen Unterschied), die europäischen Ursprungs sind (Nordamerikanische Systeme, die Einwanderer mitgebracht haben zähle ich z.B. auch dazu). Der Knackpunkt dürfte aber für viele das „Historische“ sein. Allgemein heißt es, dass es keine direkte Lehrlinie mehr gibt, sodass aus anderen Quellen, zumeist Büchern mit ausreichend Inhalt rekonstruiert werden muss. Das heißt für mich, dass eine unzureichende Quellenlage wie etwa bei römischer Gladiatur (Wikingern etc.) kein HEMA ist (klar ist es historisch (im Sinne von alt), europäisch und eine Kampfkunst und auch die Lehrlinie ist unterbrochen, aber die Möglichkeit einer validen Rekonstruktion ist meiner Meinung nach nicht gegeben. Solche Themengebiete von denen es genug gibt finden sich bei mir unter dem Begriff der experimentellen Archäologie wieder. In letzter Konsequenz ist HEMA eine Teilmenge dieser Archäologie, aber nicht umgekehrt.
Säbel- und Degenfechten des 19. Jh. Bilden ebenfalls einen Sonderstatus. Die eigentlichen spezialisierten Systeme und Methoden, die uns die alten Fechtmeister hinterlassen haben, müssen rekonstruiert werden, denn eine direkte Lehrlinie für diese spezielle Art gibt es im Normalfall auch nicht mehr. Aber das moderne Sportfechten folgt immer noch den Grundsätzen und der Nomenklatur, die es damals bereits gab. Für die breite Masse ist es einfach HEMA, ich selbst benutze auch gerne den Begriff Klassisches Fechten, der häufig für modernes (nicht elektronisches) Fechten benutz wird welches weniger auf den modernen Turnierkampf ausgerichtet ist als auf die alten Grundlagen, die von einer scharfen Auseinandersetzung ausgehen.
Wenn man sich die Entwicklung ansieht, die HEMA in den letzten Jahren in Bezug auf internationaler Ebene, Turniere, Verbände etc. hingelegt hat, erinnert es an den Weg den das damalige Fechten Anfang des 20. Jh. vorgelegt hat. Vielleicht dauert es nicht mehr lange und wir sprechen von HEMA in Bezug auf eine internationale Szene, mit standardisierter und ausgefeilter Ausrüstung, die gezielt auf den neuen Ernstkampf, den Wettkampf hintrainiert, sowie von „Klassischem HEMA“, als deren Ursprung (denn der wahre Ursprung ist ja wie gesagt nicht mehr verfügbar), welches näher an der Quelle für einen Ernstfall trainiert, der nie wieder vorkommen wird.
An der Art wie ich das Akronym HEMA benutze kann man gut sehen, wie sehr es bereits zu einem eigenen Wort geworden ist. Genau das ist der Grund warum ich die alten Kampfkünste Genuas, die uns Fechtmeister wie Tambornini, de Scalzi und Quintino hinterlassen haben unter HEMA genovese zusammenfasse. Es ist eindeutig überdefiniert, aber ein neues Akronym wie HGMA erscheint mir unnötig und albern. Zumal es den Bezug, den es eindeutig hat, nicht mehr aufzeigt. Denn HEMA hat sich mehr noch als CMA (chinese martial arts) oder FMA (filipino martial arts) zu einem geflügelten Wort besonders im Sprachgebrauch historischer Fechter entwickelt.
Ich benutze HEMA genovese allerdings nicht für Bastone genovese aus einem einfachen Grund: Ein sehr wichtiger Punkt ist für mich nicht erfüllt: Die unterbrochene Lehrlinie. Ich lerne diese Methoden direkt von einem Lehrer, der sie selbst nicht rekonstruieren musste!
Der Dachverband für HEMA in Deutschland (DDHF) definiert HEMA unter anderem mit einer unterbrochenen oder geschwächten (was auch immer das genau bedeuten soll) Lehrlinie. Deshalb hat er im letzten Jahr auch eine Schule des TIKF (traditional italian knife figthing) unter seinem Dach aufgenommen. Mir widerstrebt das. Diese Leute haben ebenfalls Lehrer, die ihrer Lehrer hatten, keiner von Ihnen musste rekonstruierende Arbeit leisten (wir erinnern uns HEMA als Teilbereich der experimentellen Archäologie). Natürlich kann man sich kritisch mit der Geschichte seiner Kampfkunst auseinander setzten, das machen viele auch im asiatischen Bereich und es gibt genauso Fechtmeister des modernen Sportfechtens mit sehr guter Kenntnis der Fechtgeschichte, alter Fechtbücher usw., die sich kritisch damit auseinandersetzen, aber macht das ihr Training zu einer Historischen Kampfkunst im Sinne von HEMA? Meiner Meinung nach definitiv nicht. Auch wenn sich das nun negativ anhört, es wertet diese Kampfkünste eigentlich auf! Das TIKF bezeichnet sich selbst auch als traditionell und nicht als historisch. Traditionell kann man in dem Zusammenhang mit klassisch vergleichen. Der Unterschied ist, wenn man es hart definieren wollte, dass das Klassische eher eine ältere (oder veraltete) Variante der modernen Ausprägung ist und das Traditionelle sich bis heute (größtenteils) erhalten hat.
Deshalb würde ich Bastone genovese zu den traditionellen Kampfkünsten und nicht zu den HEMA zählen. Einen Begriff wie TEMA werde ich mir allerdings sparen, aber auch hier werden wir sehen was die Zeit und die Szene bringen.
Zum Abschluss möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es sich hierbei um meine persönlichen Definitionen handelt.