Gambetto in der Tradition alter Fechtbücher?

Auf dem Kampfkunstboard wurde die Frage gestellt in wie weit sich Techniken des Gambetto in den Fechtbüchern Italiens aus Mittelalter und Renaissance wiederfinden. Der Gedanke dabei war evtl. eine Entwicklungslinie zu finden oder mögliche Gemeinsamkeiten zu erkennen.
Diese Idee ist nicht so sehr verkehrt, zumindest ist sie es wert einmal ein wenig näher betrachtet zu werden.
Wo könnten wir dazu einen Blick riskieren? Am besten wären natürlich Fechtbücher aus Genua selbst, gefolgt vom Umland und zu guter Letzt aus Norditalien. Alles andere wäre dann vielleicht doch ein bisschen weit hergeholt.
Tatsächlich gibt es einige Fechtbücher, die in Genua verlegt wurden. Die meisten mir Bekannten sind allerdings aus dem 19. Jh. und beinhalten leider keine Waffenlosen Techniken. Wenn wir Mailand in die Umgebung Genuas mit einbeziehen, gibt es – spätestes seit dem 18. Jh.- eine Fülle an Fechtbüchern vorallem für das Hieb- und Stoßfechten. Aber keine ausführliche Anleitung des Waffenlosen Nahkampfes, die sich nicht mit sportlichem Ringen, Savate oder Boxen beschäftigten. Diese sind zum Teil nur Nachdrucke in italienischer Sprache und keine italienische Tradition. Regionale waffenlose Tricks oder Techniken um sich seiner Haut zu erwehren findet man eher nicht. Die Bücher, die Gambetto namentlich erwähnen, einmal ausgenommen.

Blickt man weiter zurück werden die Fechtbücher seltener, daher müssen wir unsere Suche auf den Norden Italiens ausdehnen. Allerdings reicht der Wirkungsbereich dieser Werke dann auch deutlich weiter und ihre Bekanntheit und Nutzung sind wesentlich langfristiger. Im 17. Jh. beschäftigen sich Fechtbücher hauptsächlich mit dem Umgang des Rapiers. Anscheinend nur wenig was uns weiterhelfen könnte. Mit dieser Lücke ist es schon schwer von einer Übertragung oder Überlieferung zu sprechen. In der Bologneser Tradition des 15. Jh. finden wir einige Techniken zum Kampf mit dem Dolch. Hier könnte man fündig werden.

Stellung mit Cappa und Pugnale bei Marozzo

Stellung mit Cappa und Spada bei Marozzo

 

 

 

 

 

 

 

 

Der erste Blick fällt natürlich auf die Kombination Dolch und Mantel, hier erkennen wir die Grundstellung des Gambetto wieder. Der Mantel wird schützend um den Arm geschlungen und dann vor den Körper gebracht, zusätzlich kann der Dolch -wie Achille Marozzo schreibt – hinter dem Mantel verborgen werden. Das Blockieren oder Parieren mit dem rechten Arm und gleichzeitigem Dolch- bzw. Fauststoß wäre damit die erste echte Übertragung. Tatsächlich soll angeblich bereits der Kampf mit Scutum und Gladius der Römer hier Vorbild gestanden haben –eine Sichtweise, die direkt aus der Renaissance stammen könnte. Im Dolchkapitel rät Marozzo allerdings das Bein der Waffenseite vor zu stellen. Andere Meister die Mantel und Schwert überliefert haben stehen mit Schwert oder Rapier bis ins 17. Jh. ebenfalls auf diese Art. Marozzo selbst zeigt aber in seinem Schwert auch die Möglichkeit mit der Mantelseite vorzustehen. Und wo wir nun doch wieder im 17. Jh. und Fechtbüchern mit dem Themenschwerpunkt Rapier sind, auch Fabris kennt beide Guardia, links und rechts vor.

Salvatore Fabris in einer sehr gedeckten Stellung hinter dem Mantel

Diese Stellung und der Mantel als Hilfsmittel zur Verteidigung gegen Messer haben sich in jedem Fall bis heute gehalten. Wir finden sie in Frankreich des 20. Jh. z.B. auch in „La Défense dans la rue“ (1912) und in der Übersetzung ins italienische „La difesa personale“ von 1926. Auch das Colltello Genovese, dass sonst eine andere Guardia nutzt, lehrt die Verteidigung mit Jacke und Messer. Es ist damit zumindest nicht von der Hand zu weisen, dass eine solche Vorgehensweise Allgemeingut war und ist. Von einer direkten Verbindung zu Achille Marozzo würde ich allerdings nicht sprechen wollen. Aber es ist nicht auszuschließen, dass die Stellung selbst und Methoden aus ihr für den reinen waffenlosen Kampf irgendwann von einem klugen Kopf adaptiert wurden. An dieser Stelle sollte ich noch anmerken, dass es sich bei der Guardia um die Variante des ligurischen bzw. genuesischen Gambetto handelt, Martinelli zeigt um 1906 in seinem in Mailand erschienen Buch „trattato di scherma col bastone da passeggio“ eine gänzlich Andere, auch wenn einzelne Techniken wiederum in beiden Stilen zu finden sind.

Guardia Martinelli

Guardia Genovese

An dieser Stelle könnte man also sagen, dass die Messertradition Italiens, die sich über die Jahrhunderte auch mit dem Mantel als Defensivwaffe beschäftigt hat, anscheinend einen Einfluß auf die Guardia des Gambetto Genovese gehabt haben könnten.

 

Die Dolchringen aus Marozzos „Opera Nova“, die soweit ich weiß nicht zum eigentlichen Werk gehören, deren Ursprünge aber noch nicht gänzlich geklärt sind, lasse ich hier außer Betracht, da wir diese alle in einem früheren Buch wiederfinden. Fiore de Liberi beschreibt in seinem „Fior di battaglia“ eine Fülle von „waffenlosen“ Techniken in der Ringen aber auch in der Dolchsektion. Darunter sind viele der üblichen Armbrüche und Würfe, die sich auch im Gambetto wiederfinden. Allerdings sind das ebenfalls Techniken, die es in diversen Kampfkünsten um den Globus durch „alle“ Epochen hindurch gibt. Deshalb würde ich mich auch hier wieder nicht aus dem Fenster lehnen wollen um von direkten Wurzeln zu sprechen. Fakt ist, vieles von dem was es früher gab, gibt es heute auch noch, einiges davon unverändert, einiges mit kleinen Anpassungen. Diese können technischer Natur sein um die eigentliche Technik zu verbessern oder neuen Gegebenheiten gerecht zu werden, zu entschärfen oder irgendwelchen Regeln anzupassen. Feinheiten lassen sich bei Fiore oder generell aus den meisten Fechtbüchern nur schwer erkennen, ob das nun Feinheiten sind, die ich von Mann zu Mann in Genua gelernt habe und wiedererkennen könnte oder Feinheiten, die der alte Meister vielleicht gar nicht erst versucht hat zu beschreiben oder darzustellen oder sie vielleicht sogar bewusst verschwiegen hat.
Als Schlußwort möchte ich euch eine kleine Auswahl dieser „Allrounder“ jedenfalls nicht vorenthalten:

Den Arm über Rotation brechen

Den Arm verrenken.

Den Arm über die Schulter brechen.

Daumen in die Augen drücken.

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