Nach etwas über acht Stunden Fahrt nach München, einer wie erwartet viel zu kurzen Nacht und einer lustigen Autofahrt von etwa sechs Stunden erreichten Ralf, Rupert, Tobias und ich Genua am frühen Mittag. Unser Stammrestaurant, ich war ja nun auch schon zum zweiten Mal dabei, war genauso geplant wie unser übliches Hotel für die Nacht.
Aber nicht alles blieb beim Alten. Maestro Parodi und seine Schüler trainieren seit kurzem in einer neuen Räumlichkeit. Diese galt es erstmal zu finden. Sie hat leider nicht mehr das Flair der Vorherigen, man muss aber sagen, dass das Training dort aufgrund des weichen Bodens im Gegensatz zu Mosaikfliesen doch angenehmer war, grade für das Gambetto. Eins blieb dann aber dennoch gleich. Die Bar! Kein Training ohne nicht vorher an der Bar noch einen caffè zu trinken und etwas zu quatschen.
Dann ging es aber auch schon los.
Das Savate Genovese war körperlich sehr anstrengend. Ich konnte meine körperlichen Defizite größtenteils umgehen. Im Klartext: den mezza punta konnte ich dann eben nur zum Bein und später mit biegen und brechen unter die Rippen treten. Das schränkt meine Möglichkeiten natürlich enorm ein, sodass regelmäßiges Dehnen weiterhin auf meinem Programm steht. Aber da dieser Tritt natürlich nicht alles ist, hatte das keine sehr großen Auswirkungen auf die Einheit.
Diesmal waren zwei Schüler Parodis da und trainierten mit uns. Vielen Dank, besonders an meinen Trainingspartner. Du warst mir eine große Hilfe. So hatte ich eine so viel bessere Betreuung. Ein paar zusätzliche Augen sind nicht zu unterschätzen, besonders wenn sie dir immer gegenüber stehen. Ich bekam neue Einblicke, vor allem in den normalen Umgang mit den Techniken, die ich teilweise zum ersten Mal sah. Ich hoffe wir können das beim nächsten Mal wiederholen.
Fließend gingen wir durch die Distanzen und näherten uns dem Gambetto. Grundsätzlich unterscheiden sich die einzelnen Techniken nicht großartig von denen, die ich z.B. aus dem Jujutsu bereits kenne. Einige neue Gemeinheiten habe ich aber dennoch mitgenommen. Interessant war für mich vor allem die allgemeine Bewegungsdynamik, die dann doch den Unterschied machte. Allegemein wurde alles mit sehr natürlichen Bewegungen ausgeführt und Schläge wurden häufig wiederholt bis man sich sicher sein konnte eine Wurf oder Hebeltechnik auch ohne großartige Gegenwehr ausführen zu können. Auch wenn ich hier jetzt Heben schreibe, ging man doch eigentlich immer von Gelenksbrüchen aus weniger von Festlegemöglichkeiten.
Ich hatte das Gefühl, er wollte uns möglichst viel mitgeben, sodass wir nicht sehr viel Zeit für die einzelnen Techniken verschwendet, dadurch aber sehr viel gesehen haben. Dank meines Backgrounds viel mir das nicht so schwer wie den anderen Jungs. Beim Savate, was die anderen schon einmal gesehen hatten, gingen wir langsamer vor und wiederholten deutlich öfter, was für mich wiederum hier sehr von Vorteil war. Ich bekam meine Grundlagen, während die anderen die Feinheiten besser festhalten konnten. Ich bin kein Freund von Seminarmittschnitten. Man ist aufmerksamer und lernt mehr, wenn man nicht die Kamera in der Hinterhand hat. Beim Abendessen konnte unser Schwarmgedächtnis so glauben wir so ziemlich alles nochmal in Wort und Text zusammenfassen.
Am Ende des Trainings gab es für jeden von uns ein Zertifikat. Heutzutage ist man ja ohne nichts, das gilt, habe ich mir sagen lassen, auch besonders für Italien. Aber so darf ich mich schließlich doch auch offiziell als Schüler Maestro Parodis bezeichnen. Das wiederum macht mich sehr stolz und glücklich.
Nach dem Training bestiegen wir alle gemeinsam das Auto für eine Fahrt in die Innenstadt von Genua, die ich beim ersten Mal nicht zu Gesicht bekommen hatte. Eigentlich wollten wir zusammen eine Kleinigkeit essen gehen. Dazu war es aber anscheinend schon zu spät, alle guten Lokale waren schon voll. Sodass es bei einem Spaziergang durch die Innenstadt blieb. Genua hat einen ganz besonderen Charme. Die Häuser stehen wirklich sehr dicht aneinander. Die Stadt wird beherrscht von kleinen und sehr kleinen Gassen, die ab und an auf kleine Plätze zulaufen. Obwohl es erst kurz nach sechs war, war Licht auf der Straße schon spärlich, während die Oberen Häuserbereiche noch angestrahlt wurden. Besonders schön war dann auch der Anblick kurz bevor man einen Platz erreichte, besonders wenn dieser durch eine Kirche dominiert war, wenn wieder alles von Licht durchflutet wurde. Man kann sich wirklich sehr gut ein Bild davon machen wie man die Stocktechniken, die teilweise auf diese engen Gassen zugeschnitten sind auch eingesetzt hat, bzw. gezwungen war sie zu nutzen. Irgendwann werde ich mit mehr Zeit und einer ordentlichen Kamera wiederkommen und in das ein oder andere Gasthaus einkehren.
Im Übrigen kann man sagen, dass mein Kampfsportitalienisch mittlerweile ausgeprägt genug ist um dem Grundgerüst des Trainings gut folgen zu können. Die wichtigsten Worte wie hoch, tief, schlagen, stoßen, treten, links und rechts sowie diverse Fachbegriffe sind also nun vorhanden und reihen sich in mein Kampfsportjapanisch und –französisch. Etwas mehr dürfte es aber schon sein. Neben dem Dehnen steht wohl über kurz oder lang in den nächsten Jahren noch mehr auf meiner Liste.
Nach all den Stunden Fahrt und dem ganzen Gambetto und Savate Genovese blieb ein Muskelkater, bei mir besonders im rückseitigen Oberschenkel nicht aus. Aber weil wir relativ pünktlich in München ankamen und vor der Abendgestaltung noch ausreichend Zeit und eine Halle zur Verfügung standen, nutzte ich mit Tobias nochmal die Gelegenheit ein wenig vom Vortag zu wiederholen und etwas Spazierstock zu trainieren und abzugleichen. Was sich im Nachhinein als eine sehr gute Idee herausstellte. Wir tauschten uns über unser Training aus und versuchten Artefakte zu lokalisiere, die sich einschleichen und schlimmstenfalls einschleifen, wenn man eben nicht jede Woche bei seinem Maestro trainieren kann.
Montagfrüh ging es dann mit einem guten Gefühl wieder zurück ins Rheinland. Evtentuell könnte man diese Reise angenehmer und nicht ganz so zeitaufwendig gestalten, wenn ich direkt aus NRW nach Genua fliegen würde. Der Umweg über München lohnt sich aber alle Male, die halben Tage vor- und nachher sind so ergiebig, dass wenn es der Regelfall wäre wirklich etwas fehlen würde. Mal abgesehen davon, dass man unerwartet interessante Pläne schmieden oder verrückte Ideen auf so einer Autofahrt haben kann.
Jungs ihr seid großartig!